Wie können wir jemanden erreichen, der radikale Ansichten vertritt?

Falschinformationen und abstruse Ideologien sind gerade eine wachsende Gefährdung für das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Wir können uns dieser Herausforderung stellen, indem wir uns die nötigen Fähigkeiten aneignen, um fehlgeleiteten Freunden und Familienmitgliedern wieder zu einem besonnenen Alltag zu verhelfen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass sie auch Opfer geschickter Manipulationstechniken geworden sind. Da diese Techniken sowohl mit starken Emotionen, als auch mit logischen Fehlschlüssen arbeiten, sind unsere intuitiven Gesprächsansätze in der Regel erfolglos. Es gilt daher gewisse Punkte zu beachten.

  1. Nicht diskutieren. Der Versuch mit Fakten, Logik oder Argumenten zu überzeugen funktioniert bei radikalisierten Mitmenschen nicht und führt lediglich zu unnötigen Spannungen, die die Beziehung belasten können.

  2. Nicht lehrerhaft, selbstgefällig oder von oben herab auftreten. Das zwingt unseren Gesprächspartner in die Defensive und schwächt unseren Standpunkt. 

  3. Es ist wichtig Punkte zu finden, in denen man dem Gesprächspartner zustimmen kann. Das vertieft das Vertrauen.

  4. Wir brauchen Geduld, Verständnis und ein offenes Ohr. Es ist ein gewisser Prozess bis jemand von seinem eingetrichterten Weltbild ablassen kann. Wenn wir es zu eilig haben, üben wir zu viel Druck aus und werden als Bedrohung wahrgenommen.

  5. Verbale Attacken einfach besonnen ignorieren oder erklären, wie verletzend sich das anfühlt.

  6. Nicht bei jeder Begegnung über Reizthemen sprechen. Das hilft eine respektvolle Gesprächskultur zu etablieren.

Alle Herangehensweisen haben gemein, dass man nicht direkt gegen das Weltbild vorgeht, sondern versucht, den Gesprächspartner aus seiner Welt heraus abzuholen, mental herauszufordern und weiterzubilden. Es geht auch darum eine emotionale Nähe und gegenseitiges Verständnis herzustellen. Grundvoraussetzung dafür ist die Person erstmal so zu akzeptieren wie sie ist und sie das auch spüren zu lassen.

Wenn unser Gesprächspartner im Leben zusehends verbittert oder oft aufgebracht ist, kann man das einfühlsam ansprechen, ohne den Grund zu benennen. Das legt den Grundstein zu Selbstreflexion. Eine Abmachung kontroverse Themen zu meiden, wäre eine zurückhaltende Alternative.

Man kann mit interessierten Fragen Unstimmigkeiten in den Ideologien aufzeigen oder Möglichkeiten schaffen um behutsam alternative Erklärungen zu präsentieren. Wichtig ist dabei einfühlsam und interessiert zu sein, ohne zu versuchen, sie „dumm dastehen" zu lassen. Ein aufrichtiges Interesse ermöglicht uns ebenfalls mehr über die Sorgen und Beweggründe unseres Gesprächspartners zu erfahren.

Eine weitere Möglichkeit ist neues Wissen zu vermitteln. So kann z.B. ein Bericht zu möglichen Langzeitschäden bei COVID-19 Erkrankten zu Zweifeln an der Harmlosigkeit führen. Ein Video aus einer Notaufnahme oder Erlebnisberichte können über die emotionale Ebene wirken. Wichtig ist dabei nicht in eine Diskussion zu verfallen. Das erweiterte Wissen wirkt auch noch nach dem Gespräch nach. Aufrichtigkeit und Gelassenheit sind entscheidend.

Das Vermitteln von kognitive Fähigkeiten ist ebenfalls erfolgversprechend. Zum Beispiel wie Manipulationstechniken  zur Beeinflussung eingesetzt werden, wie man kritisch denkt, Verständnis über die Arbeitsweise von Wissenschaft und die Notwendigkeit und Unabhängigkeit von Journalismus.

Man kann auch mit einer Übersteigerung die Ungereimtheiten in den Ideologien aufzeigen.

 „Die Erde ist eine Scheibe.“
 „Falsch, die Erde ist ein Würfel.“

So hat unser Gesprächspartner die Möglichkeit, Lücken und Irrtümer im Weltbild selbst zu erkennen. 

Bei Sektenmitgliedern scheint eine übersteigerte Bestätigung am ehesten zum Erfolg zu führen.

„Ich freu mich für dich, dass du etwas gefunden hast, das dich erfüllt. Dein Interesse an Scientology scheint dich wirklich glücklich zu machen.“

Das führt zu Selbstreflexion und legt den Grundstein für Zweifel am Lebensstil.  Wiederholung über einem längeren Zeitraum ist notwendig.

Also, nicht die Ideologie angreifen, sondern neues Wissen vermitteln und Möglichkeiten schaffen, Fehler im Weltbild selbst aufzudecken. Wir sind jetzt gefordert an unseren Kommunikationsfähigkeiten zu arbeiten, unser Wissen zu erweitern und aus den genannten Herangehensweisen die für uns passenden Werkzeuge zu formen. Der stetige Blick nach innen hilft uns, nicht selbst in ein Extrem zu verfallen. Wir können bei diesem Prozess viel über uns und zwischenmenschlichen Umgang lernen.